Wir leben in spannenden Zeiten…!

Herr Vermeulen, was sind Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Ziele Ihrer Organisation und wie agieren Sie, um diese zu erfüllen?
Während meiner Arbeit stelle ich immer wieder fest: „Wir leben in spannenden Zeiten“. Heutzutage passieren oftmals so viele Dinge gleichzeitig, dass man gelegentlich kurz innehalten muss, um die eigene Position und das weitere Vorgehen zu reflektieren. Das kann im ersten Moment zwar schwerfallen. Dennoch ist es wichtig, eine positive Einstellung zu bewahren und sich neuen Herausforderungen stellen.

Der Grund, warum ich für die RICS arbeiten wollte, ist, dass wir als Organisation nach dem Konzept „Profit for Purpose“ arbeiten. Dies bedeutet, dass wir nicht nur unsere Gewinne, sondern auch immer das öffentliche Wohl im Auge behalten. Natürlich ist es uns wichtig, schwarze Zahlen zu schreiben. Vorrangig versuchen wir aber, Markt und Verbraucher in einem globalen Umfeld vor unprofessionellen und unethischen Geschäftsmethoden zu schützen. Außerdem sind wir bestrebt, für unsere Partner eine Vordenkerposition einzunehmen. Als Konsequenz daraus bin ich in engem Kontakt mit unseren Partnern in Europa sowie den jeweiligen Gesellschaftern. Dazu gehören auch Regierungsstellen und vergleichbare Institutionen sowie institutionelle Investoren aus der ganzen Welt.

Welche Kernthemen beschäftigen Sie derzeit am meisten?
Ein wichtiges Thema ist Gier. Viele europäische Märkte sind überhitzt: Es gibt zu viel Geld und nicht genügend Anlagemöglichkeiten. Das führt zu stellenweise unverantwortlichem Investmentverhalten – und wird durch die Aussicht auf Bonuszahlungen weiter verstärkt. Ab einem bestimmten Punkt müsste man aber sagen: Diese Preise sind nicht mehr gerechtfertigt, daher entscheide ich mich, nicht zu investieren – anstatt eine langfristig schlechte Investition zu tätigen. Trotz der Finanzkrise haben wir nicht viel gelernt. Plötzlich sind ethische Grundsätze, Nachhaltigkeit und Kundenbetreuung unwichtig geworden. Es geht vielen nur noch um schnelle Profite.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung für die Zukunft der Branche?
Heutzutage sprechen alle von PropTechs. Mein Eindruck ist aber, dass einem Großteil der Immobilienbranche immer noch nicht bewusst ist, was auf sie zukommt und welche Anforderungen das für ihr Arbeitsumfeld, ihre Kompetenzen und Fertigkeiten mit sich bringt.

Die Innovation kommt von außerhalb der Branche. Daher befürchte ich, dass wir von neuen Entwicklungen überrumpelt werden könnten. In Zukunft wird es offensichtlich werden, wer Schritt halten kann, und wer nicht. Daraus ergeben sich einige Herausforderungen, die mich sehr interessieren und beschäftigen. Zudem mache ich unsere Partner darauf aufmerksam, so oft ich kann.

Welche Rolle spielen politische Faktoren bei Ihrer Arbeit?
RICS ist ein unpolitischer Verband. Allerdings sind viele Wirtschafts- und Gesellschaftsbereiche in der letzten Zeit deutlich politischer geworden. Daher muss man auch – ob man nun will oder nicht – von Zeit zu Zeit einen politischen Standpunkt beziehen. Die RICS baut ihre Tätigkeit stetig aus, auch in politisch heiklen Märkten wie Russland oder der Türkei. Inzwischen wenden wir viel mehr Zeit für die Risikokalkulation auf, bevor wir Projekte in diesen Gegenden angehen. Auch, weil sich die Lage unter Umständen über Nacht ändern kann. Die Mitarbeiter der RICS haben auch angesichts des internationalen Terrorismus Bedenken. Wichtig ist auch das Thema Globalisierung. Als global präsente Vereinigung sind internationale Standards für die RICS wichtig. Weltweit zeichnen sich derzeit allerdings anti-globale und meiner Meinung nach rückschrittliche Tendenzen ab, Stichwort Brexit. Die globale Vernetzung ist eine unaufhaltsame Tatsache unserer Zeit. Angesichts der weltweiten Digitalisierung werden nationale und regionale Grenzen ohnehin zunehmend unerheblich.

Wie wird die Immobilienbranche von außerhalb wahrgenommen?
Eines der größten Ärgernisse – und das beobachte ich weltweit – ist das schlechte Image der Branche. Das ist potenziell gefährlich. Früher oder später werden Investoren die Gier, auf die ich ja oben bereits zu sprechen kam, nicht mehr akzeptieren. Tag für Tag werden soziale Ungleichheiten sichtbarer und Menschen verschaffen sich Gehör. Frühe Anzeichen für Richtungswechsel sind beispielsweise Diskussionen über Managergehälter oder die Beendigung von Investitionen in Bereichen wie der Alkohol- und Tabakindustrie sowie in Teilen des Rüstungssektors seitens vieler Pensionskassen. Treibende Kraft sind meistens die einzelnen Mitglieder. Darüber hinaus ist das Image der Branche wesentlich für die Gewinnung neuer qualifizierter Mitarbeiter. Unser Sektor gehört nicht zu den Favoriten für die heranwachsende Generation. Gründe dafür sind auch die wahrgenommene schleppende Innovation und der mangelnde Fokus auf gesellschaftlich relevanten Themen. Ich möchte nicht den Teufel an die Wand malen. Allerdings müssen wir diese beiden Punkte umfassend angehen und einen realistischen Blick auf unsere Zukunft haben, um die Kontrolle über aktuelle Entwicklungen zu behalten.

Zur Person:Maarten Vermeulen CBM FRICS ist RICS Regional Managing Director Europe, Russia & CIS.