Flexibilität und Konservatismus prägen deutlich die Investmentstrategien in Zeiten von Corona

Markus Reinert FRICS

V, W, U oder gar L? Während zu Jahresanfang noch über das Fortbestehen des historischen Aufschwungs diskutiert wurde, standen nur wenige Wochen später die möglichen Verlaufskurven einer der weltweit schwersten Wirtschaftskrisen aller Zeiten im Mittelpunkt. Zwar gab es schon zuvor immer wieder Diskussionen über mögliche externe Schocks, aber ein solch abruptes und tiefgreifendes Krisenszenario war für die allermeisten kaum vorstellbar.

Auch die Immobilienwirtschaft ist stark von der Corona-Krise betroffen, mit Folgen, die selbst mehrere Monate nach Beginn des Lockdowns nur schwer absehbar sind. Allmählich setzt sich jedoch die Erkenntnis durch, dass die Branche noch sehr viel länger vom Virus und dessen Folgen geprägt sein wird, als viele zunächst gehofft haben mögen. Gleichzeitig ist der Anlagedruck durch die Krise keinesfalls gesunken. Investoren sind nach wie vor von niedrigen Zinsen und hoher Liquidität getrieben und können daher die jetzige Situation nicht einfach aussitzen und ihr Kapital zurückhalten. Vielmehr sorgt die für Rezessionen typische „Flucht“ in defensive Assetklassen dafür, dass die handelnden Akteure vermehrt auf Immobilien setzen werden.

Unklare Nachfragesituation infolge von Corona

Investoren stehen zurzeit also vor einem gewissen Dilemma: Einerseits ist die Nachfrage nach dem Produkt Immobilie nach wie vor sehr hoch, andererseits kann niemand mit Bestimmtheit sagen, wie sich die langfristigen Folgen der Pandemie auf die Art und Weise auswirken, wie wir künftig Flächen nutzen – und damit, wie zukunftssicher die jeweiligen Assets tatsächlich sind.

Das beste Beispiel findet sich dazu im Bürosegment, der traditionell größten Assetklasse im Immobilienmarkt. Vor der Krise waren die Nachfrageüberhänge sowohl auf Investoren- als auch auf Mieterseite enorm und in einigen Märkten, wie zum Beispiel Berlin und München, herrschte bei den Büroflächen fast Vollvermietung. Nun zeigt sich jedoch, dass das zuvor oftmals belächelte Home-Office funktionieren kann. Viele Unternehmen müssen im Weitesten keinerlei Effizienzeinbußen befürchten, wenn die Mitarbeiter dezentral im eigenen Wohnzimmer oder auch im Lieblingscafé arbeiten. Diese Erfahrungen dürften dafür sorgen, dass die aggregierte Büroflächennachfrage eher sinkt als steigt. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln prognostizierte vor diesem Hintergrund unlängst sogar Preisrückgänge von bis zu 47 Prozent im Segment für Prime-Büroimmobilien – wobei dieses Negativszenario in der aktuellen Situation stark spekulativ und eher übertrieben scheint.

Eine neue Form des Konservatismus

Angesichts dieser Unwägbarkeiten bin ich davon überzeugt, dass über alle Assetklassen hinweg ein konservativerer Investmentansatz die Wahl der Stunde ist. Damit ist gemeint, dass die grundlegenden Immobilien- und Marktkennzahlen wieder stärker in den Fokus rücken. Die Wirtschaftlichkeit eines Investments ist das aussagekräftigste Kriterium für dessen Zukunftsfähigkeit und nicht etwa die Frage, wie „grün“ oder wie „konnektiv“ eine Immobilie ist. Solche sekundären Themen werden zumindest vorübergehend in den Hintergrund rücken.

Eine stärkere Orientierung an den ökonomischen Grundsätzen der Branche bedeutet jedoch keinesfalls eine geringere Komplexität. Ganz im Gegenteil: Der Aufwand im Asset- und Property Management wird deutlich steigen und auch ergänzende Dienstleistungen werden stärker an Relevanz gewinnen. Schließlich sorgen die aktuellen Unklarheiten dafür, dass Immobilienstrategien und Flächenkonzepte schnell und effizient an die Bedarfsentwicklung angepasst werden müssen. Es wird also eine Mischung aus Konservatismus, Flexibilität und kontinuierlichem Verbesserungswillen nötig sein, um die Marktgängigkeit der jeweiligen Flächen auch langfristig sicherzustellen.

Nicht alles auf eine Karte setzen

Ein typisches Szenario stellt beispielsweise die Neufokussierung von der Single-Tenant-Immobilie zur Multi-Tenant-Immobilie dar. Während Objekte mit einem beherrschenden Ankermieter oft jahrelang tadellos performten und sich häufig sogar besser entwickelt haben als ursprünglich im Businessplan veranschlagt, muss sich das keinesfalls in Zukunft so fortsetzen. Was die Insolvenz eines vorherrschenden Mieters immobilienseitig auslösen kann, zeigt die Wirecard-Pleite, in deren Folge 60.000 Quadratmeter Leerstand in einem Münchener Gewerbepark drohen. Selbstverständlich ist diese spezielle Entwicklung keine direkte Folge der Pandemie, das grundsätzliche Bedrohungsszenario infolge einer Corona-bedingten Insolvenz wäre jedoch dasselbe.

Nicht nur im vorliegenden Beispiel der Büroimmobilie, sondern zum Beispiel auch bei Einzelhandelsobjekten, Hotels und Pflegeheimen hat der Komplexitätsgrad infolge von Corona stark zugenommen. Dementsprechend sind die möglichen Faktoren, die über den Investmenterfolg entscheiden, zahlreicher als je zuvor. Neben der fachlichen Expertise fallen daher eine umfassende Marktkenntnis und Vor-Ort-Präsenz umso stärker ins Gewicht. Gleiches gilt für das Zusammenwirken innerhalb der Wertschöpfungskette, also zwischen Fonds-, Investment-, Asset-, Property- und Vermietungsmanagement: Gerade in der jetzigen Krise, die so enorme Auswirkungen auf die Flächennutzung selbst hat, zeigen sich die Bedarfsveränderungen zuallererst bei denjenigen Akteuren, die in ständigem Kontakt mit den Mietern stehen.

Wird der Investmentstandort Deutschland zum weltweiten Spitzenreiter?

Die kommenden Monate und Jahre werden für die deutschen Immobilienmärkte ohne Frage sehr herausfordernd sein. Dennoch ergeben sich gerade im internationalen Vergleich besondere Chancen. Zum einen ist die COVID-19-Pandemie in Deutschland bislang relativ mild verlaufen, was unter anderem an einem Zusammenspiel politischer und gesellschaftlicher Faktoren liegt. Die besonnene Reaktion der politischen Entscheidungsträger von Bund und Ländern in Verbindung mit dem robusten deutschen Gesundheitssystem hat dafür gesorgt, dass der COVID-19-Ausbruch teilweise eingedämmt werden konnte. Die von zahlreichen internationalen Investoren geschätzte Rechtssicherheit war dabei zu keinem Zeitpunkt ernsthaft gefährdet.

Zudem haben die umfangreichen Wirtschaftshilfen die deutsche Realwirtschaft gestützt. Dies war vor allem dank des gesunden deutschen Staatshaushalts möglich. Vor der Krise lag beispielsweise der Verschuldungsgrad bei etwa 60 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts, während derselbe Anteil in den USA bei deutlich über 100 Prozent lag. Selbst die enorme Neuverschuldung infolge der Konjunkturpakete scheint die stabile wirtschaftliche Grundsituation nicht zu bedrohen.

Keine Frage: Die wirtschaftlichen Fundamentaldaten haben sich auch hierzulande im Vergleich zu vor der Krise verschlechtert. Im aktuellen internationalen Vergleich ist Deutschland hingegen sehr gut aufgestellt, weshalb die Rolle als Safe Haven für Anleger nochmals gefestigt wird. Dabei stellen die dezentralen Wirtschaftsstrukturen einen wichtigen Vorteil dar. Im Gegensatz zu zentralisierten Immobilienmärkten wie Frankreich oder Großbritannien verfügt Deutschland über – je nach Definition – sieben beziehungsweise acht Top-Immobilienmärkte sowie über zahlreiche etablierte Sekundärstandorte, sodass sich ein rein deutsches Immobilienportfolio breit diversifizieren lässt. Dennoch ist diese Streuung allein noch kein ausreichendes Sicherheitsmerkmal und keinesfalls ein Garant für eine langfristige Wertsteigerung – weshalb ein genauer Blick auf jedes einzelne Asset und jeden einzelnen Markt wichtiger ist als je zuvor.

Zur Person: Markus Reinert FRICS ist Vorstandsvorsitzender & CEO der IC Immobilien Holding AG.